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25. November 2011

SDS-Rede am internationalen Aktionstag gegen die Kommerzialisierung von Bildung

Liebe Studierende, liebe Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Lehrende,

 

am heutigen Tag demonstrieren auf der ganzen Welt Menschen gegen die Kommerzialisierung der Bildung. Sie demonstrieren  in New York, in London und Athen, in Spanien, Österreich, Chile, Indien, Gambia und Neuseeland, in Ägypten genauso wie in Südafrika und sie demonstrieren auch hier in Heidelberg. (Die Liste ließe sich fortsetzen)

Sie alle demonstrieren dagegen, dass der Zugang zu Bildungseinrichtungen wie eine Ware erkauft werden muss, sie demonstrieren dagegen dass Forschung immer mehr daran orientiert ist, dass sie Profit abwirft und sie demonstrieren dagegen, dass Bildung nur noch als Ausbildung verstanden wird, als Mittel, um sich im kapitalistischen Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze eine bessere Position zu verschaffen.

 

Diese internationale Bewegung ist aber keine Bewegung, die nur kritisieren möchte, die nur dagegen wäre. Sondern diese Bewegung möchte die Utopie einer freien so noch nie dagewesenen emanzipatorischen Bildung Wirklichkeit werden lassen. Eine Bildung, die uns nicht etwa nur befähigt einer Erwerbsarbeit nachzugehen,  sondern uns befähigt, die Welt, in der wir leben zu verstehen; uns ermöglicht die Dinge endlich mit eigenen Augen statt nur mit fremden zu sehen. Die uns befähigt die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben eigenständig kritisch zu hinterfragen.

Ich spreche ganz bewusst von einer Utopie und nehme damit die Gefahr in Kauf als Träumer abgestempelt zu werden. Ich aber sage, dass die vielen Krisen der letzten Jahre – sei es die Bildungs- die Finanz- oder die Klimakrise – uns längst gezeigt haben, dass die, die glauben so wie bisher weiter machen zu können, die wahren Träumer sind.

 

Das Beispiel Chile hat bewiesen, was Bildungsproteste bewirken können. Gesternabend noch unterhielt ich mich mit einem Freund aus Chile, der mir berichtete wie dort alles anfing: Zunächst war es nicht mehr als eine Hand voll Aktivisten, die begannen das chilenische Bildungssystem zu hinterfragen und ihr Umfeld aufforderte sich ihnen dabei anzuschließen. Bald darauf waren es schon Hunderte. Kurz danach tausende. Diesen Sommer gingen schließlich Millionen auf die Straßen. Nicht mehr nur Studierende, sondern auch Schülerinnen und Schüler, aber auch Arbeiter, die verstanden, dass auch sie der Protest etwas anging. Die erkannten, dass der Kampf um eine andere Bildung auch der Kampf um eine gerechte Gesellschaft bedeutet. Heute schließlich steht die chilenische Regierung am Ende und erreicht in Wahlumfragen gerade einmal noch 20% der Stimmen. Die Bildungsproteste werden in Chile zu einem Regierungswechsel führen und damit auch zu einem Wandel des chilenischen Bildungssystems.

Das chilenische Bildungssystem ist ein Bildungssystem, das Studierende dazu zwingt, um ihr Studium zu bezahlen sich für viele Jahre zu verschulden. Ein Bildungssystem, das dazu dient, sicherzustellen, dass das Kind eines Akademikers wieder Akademiker wird und das Kind eines Arbeiters wieder Arbeiter. Ein Bildungssystem, das dafür sorgt, dass nur Akademikerkinder die finanziellen Mittel haben, um die Studiengebühren zu zahlen. Denn welche Person die aus einfachen Verhältnissen stammt, kann sich Studiengebühren von 500€ monatlich leisten? Und das in einem Land wie Chile, wo der monatliche Mindestlohn 220€ beträgt?

 

Was hat aber Chile mit Deutschland zu tun und warum erzähle ich euch das alles? Schon öfters habe ich erlebt, wie Menschen, wenn sie vom Chilenischen Bildungssystem hören zwar einerseits ablehnend auf einer derartige Ständebildung reagieren, sie als vormodern und ungerecht verurteilen, aber andererseits beruhigt davon sprechen, dass in Deutschland doch alles anders wäre. In Deutschland gäbe es keine Ständebildung, vielleicht gäbe es einige vielleicht sogar viele Dinge, die man kritisieren könnte, aber letztlich sei es doch viel besser als in Chile. Ein Bildungssystem, dass dazu dient eine Ständeordnung zu reproduzieren, hätten wir auf Fälle nicht.

 

Sie irren sich da leider nur gewaltig. Auch in Deutschland dient das Bildungssystem mit seinem viergliedrigen Schulsystem heute nicht dazu gleiche Lebenschancen für einen jeden zu eröffnen, sondern vielmehr diese zu verschließen. Es verstärkt die ungleichen Lebenschancen, mit denen wir alle durch unsere unterschiedlichen familiären Hintergründe ins Leben starten, anstatt diese auszugleichen. Und wie in Chile stellt es sicher, dass wer arm geboren wird, auch arm sterben wird. Die Wirkung ist also die gleiche nur die Methoden sind andere.

 

Die Geschichte von unserem Bildungssystem ist eine traurige Geschichte, eine hässliche Geschichte ohne Gerechtigkeit. Doch von Kindesbeinen an bekommen wir stets nur einen Teil dieser Geschichte erzählt. In diesem schönen Teil der Geschichte heißt es immer, dass es jeder schaffen könne, wenn er sich denn nur richtig anstrenge. Fleiß würde belohnt und wer eben nicht fleißig war, wird nicht belohnt.

Das ist der schöne Teil, der Geschichte, den wir erzählt bekommen. Die Geschichte geht aber weiter: Denn wenn es vielleicht auch jeder schaffen kann, wie es im schönen Teil der Geschichte heißt, können es doch niemals alle schaffen. Vielleicht kann ein jeder zum Gewinner werden, aber niemals können es alle sein. Vielmehr produziert unser Bildungssystem systematisch Verlierer.

 

Die 5 ob in der Uni oder in der Schule, sagt nichts darüber aus, ob jemand mangelhafte Leistung erbracht hat, sie sagt auch nichts darüber aus ob jemand  ein bestimmtes Maß an Fertigkeiten erlernt hat oder über dessen Lernfortschritt; sie sagt nur etwas darüber aus wie dieser eine im Vergleich zu seinen Mitlernenden dasteht. Was in der einen Klasse noch gut war, kann in der anderen schon mangelhaft sein. Nicht weil der- oder diejenige schlechter geworden ist, sondern weil im Vergleich die anderen plötzlich besser sind.

Der Glaube, dass es stets gute und schlechte Schüler gäbe, ist mittlerweile zur Regel geworden, nach der es sich zu richten gilt. Und falls es einmal doch nur gute Schüler gibt, dann sind wie das Beispiel einer Lehrerin aus Bayern zeigt, die Lehrer dazu gezwungen willkürlich einige von diesen schlechte Noten zu geben. Dieses Dogma von den guten und den schlechten Schülern, findet sich aber nicht nur innerhalb von Schulklassen, sondern zeigt sich auch im Aufbau unseres Bildungssystems. Das vier-gliedrige Schulsystem – bestehend aus Sonder-, Haupt- und Realschule sowie dem Gymnasium – ist nichts anderes als das strukturelle Spiegelbild dieses Dogmas. 

 

Derartige Praktiken entlarven, dass es im Bildungssystem nicht darum geht, Leistung zu belohen. Niemand kann sagen, was echte Leistung ist. Doch gleichzeitig sollen wir glauben, dass Bildungslaufbahnen komplett auf dieser ominösen Leistung beruhen würden. Manchmal ist das sogar nur eine nette Umschreibung dafür, dass diejenigen, die es nicht schaffen wohl dumm oder faul gewesen sein mussten. Es könne eben nicht jeder ein Genie sein. Und die wenigen, die es doch gibt, müsste man eben für ihre Außergewöhnlichkeit belohnen.

Hören wir auf diesen Unsinn zu glauben und erinnern uns an die Worte eines Menschen, der gerne mal als eines dieser sogenannten Genies bezeichnet wird. „Jeder ist ein Genie. Aber wenn Du einen Fisch danach beurteilst, wie er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist.“ Diese Worte stammen von Albert Einstein und sie enthüllen einiges an Wahrheit über unser Bildungssystem. Denn es belohnt oft Fähigkeiten, die nicht alle gleichermaßen in der Schule erlernen konnten, sondern solche, die bereits aus dem Elternhaus mitgenommen wurden. Es belohnt nicht die Fähigkeit mit Konflikten umgehen zu können, sondern ruhig zu sein, ihnen also aus dem Weg zu gehen und es belohnt nicht eigene Ideen zu haben, sondern die Ideen von anderen auswendig lernen zu können.  

Das ist nicht die Bildung, die wir wollen! Noch einmal für die Journalisten zum mitschreiben: Bildung, die durch ihre Gebühren uns zwingt uns zu verschulden, wollen wir nicht! Bildung, die auf Leistungsdruck und Stress basiert, die uns dadurch krank macht, wollen wir nicht! Bildung, die uns in vermeintlich objektive Kategorien wie gut und sehr gut, mangelhaft und ungenügend selektiert anstatt zu integrieren, wollen wir nicht! Bildung, die nur die Interessen des Marktes anstatt unserer eigenen bedient, wollen wir nicht! Bildung, die darauf abzielt, dass wir vermeintliche Autoritäten unhinterfragt anerkennen, anstatt selbst zu denken, wollen wir nicht! Ich sage es noch mal: Das ist nicht die Bildung, die wir wollen!


Wir sind heute Teil einer weltweiten Bewegung. Eine Bewegung geeint im Kampf gegen die Kommerzialisierung von Bildung und geeint in der Idee einer freien und befreienden Bildung. Eine Idee, die sich durchsetzen wird. Denn nichts auf der Welt kann eine Idee aufhalten, deren Zeit gekommen ist.

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