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3. August 2011

Freund oder Feind der Revolution?

Die ägyptische Revolution geht weiter. In der Nacht zum Sonntag, den 25.07. kam es in der ägyptischen Hauptstadt Kairo zu Kämpfen zwischen revolutionären Kräften und konterrevolutionären Anhängern des Militärregimes. Die Wut der Revolutionäre ist berechtigt, denn auch ein halbes Jahr nach dem Sturz Mubaraks laufen die demokratischen Reformen nur schleppend und die sozialen Reformen, die den Weg für eine Abkehr vom neoliberalen Kurs der letzten Jahrzehnte, ebnen könnten, sind noch nicht einmal eingeleitet. Dabei wäre dies dringend notwendig: Zwölf Millionen Ägypter leben in Slums, von denen viele so schlecht gesichert sind, dass die Bewohner permanent Angst haben müssen, Opfer von Überschwemmungen oder Steinschlägen zu werden. Der Ruf der verarmten Bevölkerungsschichten nach Verbesserung ihrer Lebensbedingungen durch Sozialreformen wird von der Militärregierung zynisch als „Partikularinteressen“ diffamiert. Davon unabhängig ist das Handeln des obersten Militärrates, der mittlerweile „legal“ diktatorische Vollmachten inne hat, generell widersprüchlich und zögerlich.  Dies wirft die Frage auf, welche Rolle das Militär in der Revolution spielt? Der folgende Text ist der Versuch einer Analyse, die diese Frage beantwortet.

Das entscheidende Datum, an dem das Militär seine Macht endgültig festigte war der 30. Mai 2011. An diesem Tag proklamierte das Militär eine Übergangsverfassung, die den Artikel 56 enthielt. Dieser spricht dem obersten Militärrat weitreichende Rechte zu: so stellt dieser explizit die gesetzgebende Gewalt dar, übernimmt jedoch gleichzeitig auch Regierungsaufgaben und hat das Recht Amnestie auszusprechen.[1] Vor diesem Hintergrund scheint es fragwürdig überhaupt jetzt schon von einer Revolution zu sprechen. Dennoch hat die Bevölkerung bereits beachtliche politische Freiräume erkämpft. Diese Freiräume werden bereits intensiv genutzt, um neue Partei- und Gewerkschaftsstrukturen aufzubauen. Strukturen, die bei der hoffentlich kommenden „zweiten Revolution“ – von der die Ägypter schon heute sprechen – eine zentrale Rolle spielen. Erst diese „zweite Revolution“ kann den fundamentalen Wandel bringen, den eine Revolution eigentlich auszeichnet. Mehr und mehr erkennen das auch die Ägypter; während die ersten Proteste nach dem Sturz Mubaraks noch wesentlich ökonomisch und sozial motiviert waren, richten sich die neueren Proteste auch gegen das Militär selbst. Der anfängliche Glaube, dass die Armee ein Freund der Revolution wäre, hat sich mittlerweile verflüchtigt.

 

Die Interessen des Militärs

 

Statt an der Revolution ist das Militär im Wesentlichen an der Aufrechterhaltung der eigenen Finanzautonomie und wirtschaftlichen Privilegien interessiert. Das ägyptische Militär ist in einem für Außenstehende schier unvorstellbaren Ausmaße in die nationale Wirtschaft verstrickt. Es ist als Ägypter schwierig seinen Konsumbedarf zu decken, ohne dabei Produkte zu kaufen, mit denen man das Militär unterstützt. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 30% der ägyptischen Wirtschaftsleistung auf das Militär zurückzuführen sind. Bedenkt man zudem das Amnestie-Recht des obersten Militärrates, so gilt hier uneingeschränkt, was Rio Reiser einst sang: „Wer das Geld hat, hat die Macht und wer die Macht hat, hat das Recht.“

Mit Ausnahme der Sicherung der eigenen ökonomischen Macht scheint jedoch das Militär an Politik relativ desinteressiert zu sein. So lässt es sich einerseits erklären, dass das Militär sich bald von Mubarak trennte als die Demonstranten seinen Rücktritt forderten und das Bilden von politischen Strukturen deutlich erleichterte, anderseits aber sehr schnell äußerst repressiv reagiert, wenn Proteste großen ökonomischen Schaden anrichten oder die nationale Einheit des Landes gefährden.

Ein Beispiel für das repressive Reagieren des Militärs bei wirtschaftsschädlichen Protesten, ist die Reaktion auf den Streik der Beschäftigten der Suez-Kanal-Behörde Mitte Juli. Die Arbeiter hatten damit gedroht den Kanal – eine der wichtigsten Welthandelsrouten und zentral für die ägyptische Wirtschaft – zu blockieren. Die Antwort der Militärregierung war das Entsenden mehrerer tausend Soldaten nach Suez. Ähnlich kompromisslos reagiert auch das Militär, bei explizit konfliktorientierten Parteien. Parteien, die offensiv im Konflikt zwischen Islamisierung und Säkularisierung oder Kapital und Arbeit Stellung beziehen, damit für sich den Anspruch haben nur eine Seite des Konflikts, also nicht alle Ägypter zu vertreten, sind nach dem Parteiengesetz verboten. Erklären lässt sich dies mit Befürchtungen des Militärs, dass solche Parteien und Gruppierungen die vermeintliche nationale Einheit gefährden und das Land spalten könnten. In der derzeitigen vorteilhaften Lage  des Militärs ist eine derartige Destabilisierung das letzte, was sich dieses wünscht.

Stabilität und politische Macht sind für die militärischen Eliten jedoch im Wesentlichen nicht Selbstzweck, sondern lediglich Mittel die eigenen Privilegien aufrechtzuerhalten. Das Militär  scheint nicht wirklich an einer dauerhaften Einmischung in das politische Geschehen interessiert, solange seine Privilegien nicht angetastet werden. Stattdessen sieht es sich eher als eine über der Politik stehende Elite, die sich nicht mit dem in ihren Augen lästigen politischen Tagesgeschäft abgeben möchte, und sich bevorzugt im Hintergrund hält.

 

Die innere Verfassung des Militärs

 

Es besteht die Gefahr, dass die zweite Revolution, die sich nun gegen das Militär selbst richtet, mit massiver Gewalt niedergeschossen wird. Um dies zu verhindern ist es zentral, dass die revolutionären Kräfte über die inneren Sollbruchstellen des Militärs Bescheid wissen und sie sich bestenfalls zu Nutze machen. Informationen hierzu sind noch rar und schwierig zu bekommen.  Ausführungen hierzu können sich somit nur auf Indizien stützen.

Während ein gewisser Teil des Militärs weiterhin den antiimperialistischen Ideen Gamal Abdel Nassers[2] nahe steht, deshalb patriotisch ist und den im Zuge der Neoliberalisierung durchgeführten Privatisierungen der letzten Jahrzehnten kritisch gegenüber steht; betrachtet ein anderer Teil des Militärs diese Privatisierungen mit als Ursache für deren ökonomische Privilegien. Schließlich hängen die gigantischen Zahlungen der USA an das ägyptische Militär (1,5 Milliarden Dollar jährlich[3]) nicht zuletzt davon ab, dass Ägypten seinen neoliberalen Kurs fortsetzt.

Ein weiterer Konflikt besteht wohl zwischen einfachen Offizieren und den hohen Generälen. Die niederen Offiziere scheinen dem Volk und der Revolution näher zu stehen als die privilegierten Generäle.  Zentral ist auch die Frage wie die Wehrpflichtigen sich im Falle eines Schießbefehls im Zuge einer revolutionären Massendemonstration verhalten würden. Einfache Wehrpflichtige sind nicht dazu angehalten sich politisch  zu äußern; außerdem lässt sich ein Verhalten in einer derartigen Extremsituation nicht vorhersagen. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass selbst die militärischen Eliten nicht wissen, ob sie sich gegebenenfalls auf ihre Soldaten verlassen können.

Dies stellt eine Chance für die zweite Revolution dar. Statt das Militär pauschal als Feind der Revolution zu verurteilen, muss es das Ziel der ägyptischen Revolutionäre sein, einfache Soldaten und untere Offiziere von den Militäreliten zu trennen und auf die Seite der Revolution zu ziehen. Ob dies gelingen wird, bleibt vorerst ungewiss. Die Revolution hat nämlich gerade erst begonnen.

 

 

 

Wir als SDS Heidelberg halten es für ein Gebot internationaler Solidarität die Revolution in Ägypten kritisch-solidarisch zu begleiten und uns und Außenstehenden dabei Perspektiven zu erarbeiten, die über die oberflächliche Berichterstattung des medialen Mainstreams hinausgehen. Natürlich beschränkt sich unsere Solidarität nicht nur auf die revolutionären Kämpfe in Ägypten, sondern gilt den progressiven Bewegungen, in der ganzen Region; dennoch verdient die Revolution in Ägypten unsere besondere Beachtung. Schließlich ist Ägypten der bisher mit Abstand größte Staat der Region, in denen das Volk seinen Diktator absetzte. Ägypten kommt damit eine Signalwirkung zu. Die Revolutionäre der Region werden genau nach Ägypten schauen, wenn sie sich fragen, ob sie sich nur mit einer politischen Revolution zufrieden geben oder stattdessen noch weiter für die soziale Revolution kämpfen.

 


 

[2] Nasser war zwischen 1954 und 1970 Staatspräsident von Ägypten sowie während der Vereinigung mit Syrien Präsident der Vereinigten Arabischen Republik. Er verfolgte eine panarabische Ideologie, verfolgte relativ fortschrittliche Sozialreformen, trocknete jedoch das politische Leben in Ägypten nahezu komplett aus und ebnete dadurch den Weg für politischen Islam der Muslimbruderschaft.

 

[3] Samir Amin: 2011: Der arabische Frühling, in: Sand im Getriebe; sandimgetriebe.attac.at/9606.html

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