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13. November 2011

Zwischenruf: Demokratie im Kapitalismus?

Die Occupy-Bewegung kritisiert bestehende Demokratiedefizite und den Finanzmarktkapitalismus. Medial wird häufig der Eindruck vermittelt beides gehöre nicht zusammen. Falsch, denn wer sich um die Demokratie sorgt, der darf über den Kapitalismus nicht schweigen, meint der SDS Heidelberg.


Am 15. Oktober demonstrierten weltweit Anhänger_innen der Occupy- und Democracia Real Ya!-Bewegung gegen Bankenmacht, soziale Ungleichheit und für echte Demokratie. Auch in Frankfurt, Berlin und vielen anderen deutschen Städten protestierten insgesamt Zehntausende. Im Anschluss daran wurden vielfach Protestcamps errichtet. Eine neue weltweite Bewegung wurde geboren. Sie eint die Kritik am derzeitigen Finanzmarktkapitalismus, in dem demokratisch nicht kontrollierte Finanzinstitutionen, wie IWF, Weltbank, EZB,  Ratingagenturen und Großbanken eine Machtfülle erlangt haben, die immer häufiger dazu genutzt wird, die Politik zum Erfüllungsgehilfen des Finanzkapitals zu degradieren.

 

Medial wird oftmals der Eindruck vermittelt, dass die Forderungen der Occupy-Bewegung ein wildes Wirrwarr wären, dass zwischen ihnen keine Verbindung bestünde oder dass es erst gar keine Forderungen gäbe. Nur selten wird ihre Kritik an der derzeitigen Funktionsweise unserer Demokratie erwähnt und falls doch, wird stets der Eindruck vermittelt, diese hätte mit dem angeblichen Hauptanliegen der Bankenkritik nichts zu tun. Dem ist aber mitnichten so. Die Bewegung hat verstanden, dass wer über mangelnde Demokratie klagt, nicht über unser Wirtschaftssystem schweigen darf.

 

Die Macht der Finanzmärkte

 

Heute sind es nicht mehr imperialistische Weltreiche sondern Großunternehmen wie z.B. die Barclays Bank,  die chinesische Petrochemical Group oder die Deutsche Bank, über denen die Sonne niemals untergeht (Lester Brown). Das Großkapital agiert international und seine Niederlassungen finden sich weltweit. Vor kurzem fand zudem eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich heraus, dass nur 147 Unternehmen weltweit große Teile der Weltwirtschaft kontrollieren.[1] Dass sich daraus eine demokratiegefährdende Machtfülle ergibt, liegt nahe. Unter den Big 147 waren Unternehmen aus der Finanzindustrie besonders stark vertreten.

 

Dieser Einfluss beschränkt sich nicht etwa auf die Wirtschaft selbst, sondern greift auf andere Gesellschaftsbereiche über. Dies geben mittlerweile selbst auch Politiker offen zu. Schlimmer noch: Spitzenpolitiker wenden sich ob ihrer eigenen Hilflosigkeit gegenüber der geballten Lobbymacht der Finanzinstitute mit einem Hilfeschrei an die Öffentlichkeit. So geschehen im Juni 2010 als 22 Finanzpolitiker des EU-Parlaments fraktionsübergreifend von einer "Gefahr für die Demokratie" durch eine einseitige Expertise von Lobbyisten auf europäischer Ebene warnten. Um diesen Einfluss zu mindern müsste von unabhängiger, zivilgesellschaftlicher Seite Gegenexpertise bereitgestellt werden oder ein wissenschaftlicher Dienst des EU-Parlaments geschaffen werden. Die EU-Kommission wiegelte jedoch ab.[2] Kein Wunder, schließlich sind ihre "Expertengremien" doch selbst von Unternehmenslobbyisten dominiert.[3] An der Macht der Finanzlobby in der EU hat sich bis heute nichts geändert. 

 

Selbst der G20-Gipfel in Cannes, wo  kürzlich eigentlich weitreichende Wirtschafts-Regulierungsmaßnahmen, um weitere Krisen zu verhindern, hätten beschlossen werden müssen, wurde von den Betroffenen solcher Regulierungsmaßnahmen selbst – nämlich Banken und Großkonzerne – gesponsert. Diese erhielten im Austausch exklusiven Zugang zu den mächtigsten Regierungen der Welt. Geradezu eine Garantie, dass deren Interessen nicht übergangen werden. Eine Garantie, die die Bürger der Welt nicht haben.[4]

 

Von der Demokratie "irritiert"

 

Wie selbstverständlich mittlerweile Märkte und vermeintlicher Wohlstand über die Demokratie gestellt werden, zeigen die Reaktionen falls es einmal doch anders geschehen soll: als der mittlerweile ehemalige griechische Regierungschef Giorgos Papandreou vor kurzem beschloss das griechische Volk per Referendum über die Beschlüsse des Euro-Gipfels und die damit verbundenen Sparmaßnahmen entscheiden zu lassen – eine Entscheidung, die für viele Jahre die Lebensbedingungen in Griechenland entscheidend geprägt hätte – reagierten Spitzenpolitiker aus ganz Europa irritiert. So bezeichnete beispielsweise der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle den Entschluss Papandreous als "merkwürdig". Insgesamt gab man sich nur wenig Mühe das eigene elitistische und undemokratische Politikverständnis durch Worthülsen zu kaschieren.

 

In dieser Logik beorderte die informelle "Frankfurter Runde" – bestehend aus den EU-Spitzenpolitikern Angela Merkel, Nicolas Sarkozy, EU-Kommissionspräsident Barroso, EU-Ratspräsident Van Rompuy, dem Vorsitzende der Euro-Gruppe, Juncker, dem Präsidenten der EZB,  Draghi und IWF, Lagarde – ein Tag vor dem offiziellen Beginn des G20-Gipfels Papanderous nach Cannes um ihn ins Gebet zu nehmen. Nur einen Tag danach wurde das griechische Referendum abgesagt.

 

Die heutige Macht von Großunternehmen und Finanzmärkten, darf jedoch nicht auf einen Exzess der Wirtschaftsordnung zurück geführt werden, sie ist nicht eine Besonderheit des Finanzmarktkapitalismus. Vielmehr gehört sie zum Kapitalismus als solchem.

Der Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, das die unbegrenzte Akkumulation von Kapital gewährleistet und in dem mit jedem mehr an angehäuftem Kapital es leichter wird noch mehr Kapital anzuhäufen. Die logische Konsequenz ist, dass sich mit der Zeit Oligopole mit einer demokratiegefährdenden Machtfülle herausbilden müssen.

 

Wie groß diese demokratiegefährdende Machtfülle mittlerweile geworden ist, zeigt auch eine Episode in der derzeitigen Finanz- und Staatsschuldenkrise: Ende Juni fand ein Euro-Gipfel statt, der das Ziel hatte den griechischen Staat mit günstigen Krediten zu versorgen, um seine Zahlungsfähigkeit zu gewährleisten. Nach Ende des Gipfels beklagte Ackermann, dass dessen Ergebnis – vermeintliche 21% Schuldenabschreibungen durch die Banken –, diese "hart treffen" würden. Dabei waren es doch gerade diese 21%, die der internationale Bankenverband IIF, von dem Ackermann der Vorsitzende ist, in einem Papier als Mitbeteiligung der Banken an der Schuldenkrise vorschlug.[5]

 

Demokratie und Kapitalismus: eine Symbiose?

 

Im Kapitalismus stellt der Staat für die Warenproduktion nur den Rahmen, sie selbst wird einzelnen Kapitaleigner_innen überlassen. Damit wird die Wirtschaft nahezu komplett einer demokratischen Kontrolle entzogen. Demokratie ist daher nicht - wie oft behauptet - die Grundlage des Kapitalismus oder sogar mit diesem identisch. Echte Demokratie und Kapitalismus stehen sich unvereinbar gegenüber. Jedes Mehr an Demokratie muss sich von der Bevölkerung gegen die Interessen des Kapitals erstritten werden.

 

Im Kapitalismus sind wir überall mit Autokratie konfrontiert. In der Schule bestimmen die Schulleitung und die Lehrer_innen über uns. An der Hochschule das Rektorat und der so genannte Hochschulrat voller Wirtschaftslobbyisten und später im Beruf sind wir der/dem Arbeitgeber_in ausgeliefert. Autokratie, nicht Demokratie, bestimmt unser Leben.

 

Wie gut sich Kapitalismus und Diktatur vereinbaren lassen, zeigt das Beispiel des in China praktizierten autoritären Kapitalismus. Dort wird die Akkumulation von Kapital nicht durch soziale Errungenschaften gestört, so dass  dieses viel effizienter von statten gehen kann. Nur so ist das enorme chinesische Wirtschaftswachstum zu erklären, von dem die chinesischen Arbeiter_innen selbstverständlich nichts haben.

Auch der nahtlose Übergang Spaniens vom Faschismus zur Bürgerlichen Demokratie in den 70er Jahren zeigt: Kapitalismus und Demokratie sind nicht untrennbar miteinander verbunden. Vielmehr ist es so, dass der Kapitalismus unter verschiedenen politischen Systemen existieren kann: Bürgerliche Demokratie, Faschismus, staatskapitalistischer "Sozialismus" etc.

 

Echte Demokratie hingegen kann nur existieren, wenn sie nicht bei der Wirtschaft Halt macht. Daher müssen wir gemeinsam mit den Aktivist_innen der Occupy-Bewegung eine andere Wirtschaftsordnung erkämpfen. Eine Wirtschaftsordnung, die Demokratie ermöglicht und nicht bekämpft.

 


 

 

 

 

 

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