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7. April 2011

Grüne Revolution?

Zum Wahlsieg der Grünen in Baden-Württemberg

In den Tagen nach den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz fand auf den Kommentarseiten der Zeitungen ein Überbietungswettbewerb um die Bedeutsamkeit des Wahlergebnisses von noch nicht gekanntem Ausmaß statt. Von einem „historischen Einschnitt“ sprach die Pforzheimer Zeitung, um ein „spektakuläres, sensationelles Wahlergebnis“ handelte es sich nach Meinung der Süddeutschen Zeitung, und sogar eine „Revolution, die im ganzen Land Widerhall finden wird“, meinte die taz ausgemacht zu haben.

Und jetzt? Ist jetzt etwa der Zeitpunkt gekommen sich genüsslich zurückzulehnen, die politischen Reformen der kommenden Grün-Roten Landesregierung auf sich zukommen zu lassen und zu warten, dass jetzt endlich alles besser wird? Ist das der Auftakt für eine neue politische Zeitrechnung, in der endlich die drängenden Probleme unserer Zeit angegangen werden: Schaffung von Nachhaltigkeit und Sozialer Gerechtigkeit sowie die Abschaffung einer in einem repressiven, zur Anpassung zwingenden kapitalistischen Wirtschaftssystem wurzelnden Unfreiheit?

Wer sich die Lösung oder auch nur das Anpacken der beiden letztgenannten Probleme von den Grünen erhofft, der sieht entweder nicht die Probleme, die wir sehen, oder schaut auf die Welt durch die grün-rosarote Brille. Die Grünen sind mittlerweile eine derart bürgerliche Partei geworden, dass sie einerseits aus Überzeugung und andererseits aufgrund ihres Klientels gar kein Interesse mehr daran haben diese Probleme anzupacken. Doch wie sieht es mit dem Thema Nachhaltigkeit aus? In der öffentlichen Debatte scheint niemand daran zu zweifeln, dass die Grünen zumindest dieses Problem lösen werden. Ökologie sei ja schließlich der grüne Markenkern.

Wer auf den nun beginnenden nachhaltigen Umbau der Baden-Württembergischen Wirtschaft hofft, wird aber bitter enttäuscht werden. Der beunruhigende und entscheidende Grund hierfür ist, dass der vermeintliche Realismus und Pragmatismus, für den der Grüne Winfried Kretschmann beispielhaft steht, sich zur eigentlichen Ideologie der heutigen Zeit entwickelt hat. Eine Ideologie, welche die Einsicht darüber, dass die jetzigen Probleme rasch radikale Konsequenzen erfordern, versperrt. Unser kapitalistisches Wirtschaftssystem basiert auf unendlichem Wirtschaftswachstum, was nur mittels eines stets steigenden Energie- und Ressourcenaufwands ermöglicht wird. Unendliches Wachstum ist aber auf einem endlichen Planeten einfach unmöglich. Wenn die Grünen also ihr Kernthema Nachhaltigkeit ernst nehmen würden, dann müssten sie Konzepte für eine Postwachstumsgesellschaft vorlegen. Diese haben sie aber nicht. Solange Realos wie Kretschmann den Ton angeben, werden diese aber auch nicht entwickelt werden. Denn eine nachhaltige Wirtschaft ist nur mit der Überwindung des Status Quo zu haben. Für die „Realos“ ist das aber Geschwätz von Utopisten. Diejenigen, welche die Nachhaltigkeitsproblematik ernst nehmen, wissen aber, dass die „Realisten“, die glauben auch nur ansatzweise wie bisher weiter machen zu können, die wahren Utopisten sind.

Dieses Wahlergebnis ist also keine Revolution, kein historischer Einschnitt und auch nicht spektakulär. Das Wahlergebnis ist vielmehr der Ausdruck von einer Kontinuität eines den realen Problemen fernen Pragmatismus. Dieser Pragmatismus kann nur überwunden werden, wenn die außerparlamentarische Oppositionen zukünftig stärker für die grundsätzlichen politischen Ziele, anstatt nur die Mittel, um diese zu erreichen, eintritt. Beim „pragmatischen“ Nachdenken über die Mittel hat nämlich die politische Klasse die Ziele aus den Augen verloren. Die Bestimmung geeigneter Mittel ist aber ohne das Bewusstsein der gesellschaftlichen Ziele nicht möglich. Die Aufgabe der außerparlamentarischen Opposition muss es zukünftig sein, diese Ziele wieder ins Bewusstsein zu rücken.

 

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