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30. Mai 2011

Spanische Revolution in Europa?

In vielen spanischen Städten gibt es in den letzten Tagen massive Proteste unter dem Motto ¡Democracia Real YA! (Echte Demokratie JETZT!). Die objektiven Gründe für diese Bewegung lassen sich in der jüngeren Geschichte des Landes finden. Seit Anfang der Neunziger Jahren gab es in Spanien einen massiven Wirtschaftsboom, der vornehmlich auf die staatlich stark subventionierte Immobilienindustrie zurückzuführen ist. Dieser Boom überdeckte zunächst die strukturellen Schwächen der spanischen Wirtschaft. Die geschaffenen Stellen senkten zwar die Arbeitslosigkeit für einige Jahre, allerdings handelte es sich um prekäre Beschäftigung sowohl hinsichtlich der Bezahlung als auch der Arbeitsbedingungen. Bald regte sich Widerstand gegen die wenig nachhaltige Betonierung der Mittelmeerküste und deren ökologischen Auswirkungen. Auf dem Finanzsektor entstand zudem ein korruptes lukratives Spekulationsgeschäft um die Baulizenzen.

Notwendigerweise musste dieser Boom ein Ende finden. Die Nachfrage nach den gebauten Immobilien war wesentlich geringer war als erwartet. Gemeinsam mit den Erwartungen platzte diese Immobilienblase und mit ihr brach die spanische Wirtschaft zusammen. Binnen der letzten vier Jahre stieg die Arbeitslosigkeit von acht auf über zwanzig Prozent an, die Jugendarbeitslosigkeit sogar auf über vierzig Prozent.

Ein weiterer Grund für das Entstehen der jüngsten Proteste ist der Umgang der Regierenden mit diesen Zuständen. Die nur dem Namen nach sozialistische Regierung Zapateros reagierte auf die Probleme mit Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor, Rentenkürzungen und Mehrwertsteuererhöhungen. Wirtschaftspolitisch wurde der neoliberale Kurs fortgesetzt, während die Verluste der Krise vergesellschaftet wurden. Zudem sind viele lokale Politiker_innen selbst in Korruptionsaffären verstrickt. Auf dem parlamentarischen Weg ist eine Politik jenseits der beiden großen Parteien, die sich inhaltlich nur marginal unterscheiden, aufgrund des Wahlsystems nicht möglich. So erlangte etwa die Vereinigte Linke bei den letzten Parlamentswahlen trotz einem Stimmanteil von vier Prozent nur zwei der 350 Sitze im Unterhaus.

Die Proteste entwickelten sich von einer Jugendbewegung, die ihre Zukunftslosigkeit beklagte, zu landesweiten Massenprotesten, Großdemonstrationen und die Besetzung großer öffentlicher Plätze sind ihre auffälligsten Mittel. Die Bewegung erfährt ein hohes Maß an Solidarität aus der Bevölkerung. So ließ sich das Demonstrationsverbot am vergangenen Wahlwochenende wegen massenhaften zivilen Ungehorsams nicht durchsetzen.

Der Wahlsieg der Konservativen bedeutet keinesfalls einen Rechtsruck, stattdessen lässt sich dies als eine Entfremdung der Bevölkerung von Parteien und Gewerkschaften verstehen. Ebenso haben sich die politischen Eliten von den Bedürfnissen und Nöten der Bevölkerung entfremdet, was sich nicht zuletzt durch die ausufernde Korruption zeigt, sondern auch durch die hohe Anzahl ungültiger Stimmen. Der Wahlausgang ist damit ein Zeichen für ein neues Streben nach einer außerparlamentarischen Opposition. Die zur APO sich formierende Bewegung proklamiert als Grundsätze Gleichheit, Fortschritt, Solidarität, Nachhaltigkeit und spricht von elementaren Rechten auf Wohnung, Arbeit, Kultur, Gesundheit und Bildung. So kann sie durchaus als emanzipatorisch eingestuft werden.

Im jetzigen Prozess entwickelt sich allmählich ein gemeinsames Bewusstsein über die gesellschaftlichen Verhältnisse, das aus einem Moment der Empörung heraus angestoßen wurde. Diese Entwicklung ist aus linker Perspektive sicherlich sehr positiv zu bewerten. Die Protestierenden beziehen sich dabei gerne auf die arabischen Revolutionen und sprechen selbst von einer spanischen Revolution. Dennoch: In den arabischen Ländern herrschen vornehmlich autoritäre Despoten, in Spanien hingegen handelt es sich viel mehr eine parlamentarische Demokratie, deren Parlament dabei ist, seine Souveränität an das Diktat der internationalen Finanzmärkte zu verlieren.

Eine andere Parallele lässt sich dennoch beobachten: Ganz ähnliche Vorgänge wie in Spanien spielen sich nämlich seit der jüngsten Wirtschaftskrise in vielen europäischen Staaten ab, wenn auch nicht überall im selben Ausmaß. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es sich in Griechenland und Portugal ähnliche Protest entwickeln. In Tschechien gab es vor einigen Tagen eine Demonstration mit einigen Zehntausend Teilnehmern gegen Kürzungen im Sozialbereich.

Die Forderungen der Protestierenden lassen sich sehr analog auch auf Deutschland übertragen: Angesichts von Hartz IV, Bildungsmisere und einer fortschreitenden Privatisierung der öffentlichen Daseinsfürsorge scheinen die Forderungen nach den genannten Rechten auch hier sinnvoll. Auch die Forderungen nach einer Demokratisierung gesellschaftlicher Prozesse und ökologischer Nachhaltigkeit sind relevant, wenn man die Auseinandersetzungen um Atomkraft oder Stuttgart 21 betrachtet.

Europäische und weltweite Institutionen wie Weltbank und IWF geben Nationalstaaten Richtlinien vor; ebenso agieren transnationale Konzerne auf internationaler Ebene. Angesichts dieser wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten ist klar, dass diese Verhältnisse nicht in Spanien alleine überwunden werden können. Nun stellt sich die Frage, ob die objektiven Voraussetzungen für einen radikalen gesellschaftlichen Wandel mit einem subjektivem Bewusstsein über dessen Notwendigkeit zusammentreffen und ob dies nicht nur in Spanien sondern auch in anderen europäischen Ländern passiert. Denn eine Revolution, die diese Verhältnisse wirklich überwinden will, um echte Demokratie zu schaffen, muss theoretisch und vor allem auch praktisch international sein.

Nehmen wir uns also ein Vorbild an den Protestierenden in Spanien und treten wir für eine bessere Gesellschaft ein! Gehen wir wieder auf die Straße, um den Herrschenden zu zeigen, dass ihre Herrschaft bald ein Ende haben wird. In diesem Sinne

¡Viva la revolución!

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