Zurück zur Startseite
11. Mai 2011

Der unpragmatische Pragmatismus

Unter Politikern fast aller Lager ist es in Mode gekommen, von sich zu behaupten, man sei keiner Ideologie verpflichtet, sondern nur dem Pragmatismus. Man wolle lediglich die beste Politik für sein Land machen. So sagte Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) im April der FAZ „Pragmatismus bedeutet, dass wir uns auf Vorschläge konzentrieren, die durchsetzbar sind und die funktionieren. Die SPD hat machbare Vorstellungen für eine bessere Zukunft. Das ist unser Vorteil.“ Das selbe meinte der neue baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) als er sagte „Ich bin meinem Land verpflichtet, dann meiner Partei, dann mir als Person“ oder der grüne Patriarch Josef Fischer, als er seinerzeit verkündete „Wer das Wünschbare mit dem Machbaren verwechselt, wird scheitern.“

Doch was ist dieser Pragmatismus, den alle für so wünschenswert halten? Das Politiklexikon von Schubert und Klein beschreibt Pragmatismus als „eine philosophische Strömung, die die lebenspraktische Bedeutung des Philosophierens (Nachdenkens, Reflektierens) in den Mittelpunkt stellt und danach fragt, welchen Nutzen unterschiedliche Handlungen, Ideen, Wertungen etc. bewirken.“

Der Knackpunkt ist also der Nutzen einer Handlung. Es stellt sich damit die Frage, ob die  Handlungen der selbsternannten Pragmatiker von deren Nutzen bestimmt sind. Dazu kann man sich beispielhaft die Handlungen der Oberpragmatiker der Schröder/Fischer-Regierung ansehen. Waren deren Hartz-Gesetze also von deren Nutzen bestimmt?
Um diese Frage beantworten zu können, muss doch zuerst einmal gefragt werden, welcher Nutzen hier angestrebt wurde. War der angestrebte Nutzen allein die Konsolidierung des Staatshaushalts, waren die Hartz-Gesetze wohl immerhin bedingt pragmatisch – dennoch hätte es auch andere Wege gegeben. War der angestrebte Nutzen aber eine solidarische Gesellschaft, dann waren die Hartz-Gesetze sicher alles andere als pragmatisch.

Es bedarf also beim sogenannten unideologischen Pragmatismus zunächst einmal eines Ziels , auf das der Pragmatismus gerichtet sein soll. Doch woher sollte dieses Ziel kommen, wenn nicht aus einer wie auch immer gearteten Ideologie? Die Antwort ist offensichtlich, nur politische Werte, also nur eine Ideologie, kann Grundlage von Zielsetzungen sein. Der Pragmatismus ist also stets einer Ideologie nachgeordnet. Wenn die oben genannten „Pragmatiker“ dagegen behaupten sie seien nur dem Pragmatismus verpflichtet, dann verschleiern sie dagegen ihre Ideologie, die hinter ihrer politischen Agenda steht. Sie entziehen dadurch ihre Politik dem öffentlichen Diskurs, entpolitisieren die öffentliche Debatte und machen sich unangreifbar. Letztlich entmündigen sie den Bürger als politisches Subjekt, indem sie mit ihrem „Pragmatismus“ eine Debatte über allgemein gewünschten politischen Nutzen, die allgemeinen Ziele der Politik verunmöglichen.

Ein Pragmatismus, der seinen Namen verdient hätte, müsste dagegen zunächst die wirklichen bestehenden Probleme der Menschheit betrachten, als da wären Umweltzerstörung, Klimawandel, Hunger, Ausbeutung der „Dritten Welt“ durch die Industriestaaten, soziale Ungleichheit, Kinderarbeit und Analphabetismus (um nur ein paar der wichtigsten zu nennen). Dieser Pragmatismus müsste des Weiteren die grundlegenden Ursachen dieser Probleme angehen. Bei genauerem Hinsehen wird klar, dass als zentrale grundlegende Ursache nur die kapitalistische Produktionsweise angesehen werden kann.

Deren Konsequenz ist die unbegrenzte Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und der natürlichen Ressourcen unseres Planeten. Der Kapitalismus setzt alle Unternehmen in ein Konkurrenzverhältnis, in dem diese gezwungen sind soziale wie ökologische Kriterien des Wirtschaftens zu ignorieren. Versuchen sie sich doch dieser inneren Logik des Kapitalismus zu entziehen, so nehmen sie damit stets Wettbewerbsnachteile und damit einhergehend auch die ständige Gefahr im Konkurrenzkampf komplett unterzugehen in Kauf. Die innere Logik des Kapitalismus belohnt kein soziales oder ökologisches Handeln, es steht diesem sogar diametral entgegen. Dabei wäre doch ein solches Handeln, dasjenige, welches in der momentanen historischen Situation für alle am nützlichsten wäre.

Eine wirklich pragmatische Politik kann deshalb also nicht auf die Sanierung des Staatshaushalts oder auf die Senkung der Arbeitslosigkeit gerichtet sein, stattdessen muss die Überwindung des Kapitalismus deren Ziel sein. Deshalb: Seien wir pragmatisch, fordern wir das Unmögliche!

 

Kommentar